Fast ein schlechtes Gewissen

Mein Bundeswehrkumpel, der ein großer World-of-Warcraft-Held ist und Angst vor dem realen Leben hat, ist zum Straßenkulturfest in Eberswalde gekommen. "Wie hast Du ihn rausgelockt?" fragte mich gestern jemand aus meinem Chor. - "Ich habe ihm einen Befehl erteilt", antworte ich. "Funktioniert immer."
Während ich zunächst das Hochschulorchester beim Tag der offenen Tür der HNEE dirigiere und mich später am Nachmittag um meinen Chor auf dem Marktplatz kümmere, übernimmt mein Freund die Hundesitterpflich… äh, den Bundeswehrkumpel. Nennen wir ihn der Einfachheit halber KRAPOTKE.
"Jens hat angeboten, uns nachher nach Hause zu fahren", sagt mein Freund und zeigt auf Krapotke. Ich zucke zusammen. "Warum nennst Du ihn denn Jens?" - "Na, so heißt er doch." - "Aber das ist doch nicht seine Schuld!" (Ich nenne Krapotke konsequent bei seinem Zockernamen, der ist viel schöner.)
Mein Freund marschiert mir den Nachmittag über hinterher, füllt literweise Apfelschorle in mich ein, applaudiert am lautesten und treibt verspätete, quatschende Sänger zum Einsingen, Krapotke latscht mit und fühlt sich ein wenig hin- und hergerissen zwischen zu viel Kultur und endlich mal raus. Irgendwann murmelt er fast unhörbar, er müsse mal. "Hier gibt's überall Toiletten", sage ich, "guck mal auf den Plan", und wir schlendern weiter. Zwei Stunden ohne Toilette später wiederholt Krapotke den Hinweis auf seine Bedürfnisse. Ich seufze. "Krapotke und ich gehen mal auf's Klo", sage ich zu meinem Freund, der schlagartig breit grinst.
"Wer ist Krapotke?" fragt Krapotke unterwegs zu den Toiletten.
"Das ist der stumpfsinnige Bundeswehrtyp ohne Freunde aus den Känguru-Chroniken, der von allen immer gemobbt wird, aber am Ende des dritten Teils ist er dann irgendwie ganz cool, so im Rahmen seiner Möglichkeiten", antworte ich und erfülle meine Muttipflichten, indem ich ihn zur Kreisverwaltung dirigiere. Krapotke boxt mich auf den Oberarm - ausgleichende Gemeinheit.

Dann folgt unser Chorauftritt. Mein Chor singt wunderbar. Leider merkt er es selbst nicht, da die letzte Reihe die ersten nicht hört, die linke Hälfte die rechte nicht und jeder kaum sich selbst wegen des Abluftgebläses vom Crêpes-Wagen hinter uns und weil open air einfach immer schwierig ist.
Mein Freund, den ich beauftragt habe, ein bißchen mit dem Handy mitzufilmen, damit ich nachher einen Eindruck von dem habe, was das Publikum hören konnte, nimmt mich später am Abend beiseite und in den Arm und sagt: "Ich wollte Deinen Chor filmen, aber dann konnte ich das ganze erste Stück die Kamera nicht von Dir wegnehmen. Es ist so toll, Dich bei der Arbeit zu sehen, zu sehen, wie stark die Sänger auf Dich reagieren - jetzt verstehe ich, warum Du 400 Kilometer pendeln willst. Jetzt habe ich fast ein schlechtes Gewissen." Awwww.

(Aus: 101 Gründe, warum ich meinen Freund liebe)

Zum Glück hat er sich dann eingekriegt, Krapotke sein Bier halten lassen und noch 2 Titel mit Chor drauf gefilmt. ;-)



Am nächsten Tag gehen wir ins Kino - Warcraft. Das war lange verabredet, immerhin haben wir alle einander in diesem Spiel kennengelernt. (Ja, echt jetzt. Ich kenne meinen Freund aus World of Warcraft. Wir spielen schon ewig nicht mehr, aber wir waren mal ein spitzen Tank-Duo!) Wir sind dort alleine mit einem 14jährigen und seinen Eltern. Die Eberswalder Nerdszene ist echt übersichtlich.
Danach wollten wir noch romantisch essen gehen, aber mein Freund hat am Samstag spontan Krapotke dazugeladen, also gehen wir unromantisch essen.
Wir haben einen Tisch draußen in der Alten Brauerei reserviert. Es ist abendlich mittelwarm, ein leichter Wind geht und die Tische stehen zur Straßenseite. Ich habe nicht erwartet, daß am Sonntag noch viel Verkehr ist, aber ich habe mich geirrt. Krapotke stören die Autos weniger, ihn stört der Wind. Er gibt Sätze wie "Mimimi erkältet mimimi" von sich, als der Kellner die Getränkebestellung aufnehmen will, so daß wir fragen, ob es drinnen auch noch einen Tisch gibt, weil einer von uns leider krank zu werden droht. Der Kellner grinst und nickt, dann zückt er den Kugelschreiber.
"Einen Kiba bitte", sage ich.
"Ein großes Bier", sagt mein Freund.
"Und 'n Pfefferminztee für den Herrn, richtig?" ergänzt der Kellner mit todernstem Gesicht.
"Ihr seid alle scheiße", sagt Krapotke und bestellt auch ein Bier.


Mehr zu Krapotke und den Leuten, die ihn zu Recht mobben:


Kommentare

athena hat gesagt…
Es ist witzig. Aber ich muß das nicht wirklich alles verstehen, oder? ;))
Musiksalon hat gesagt…
Vielleicht nicht - aber ich empfehle Dir von ganzem Herzen, mal die Känguru-Chroniken zu lesen oder noch besser als Hörbuch zu hören (Der Autor liest selbst, das ist unübertroffen gut).

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