Konzerte! Endlich wieder Konzerte!

 Es war eine musikalische Dürre wie nie zuvor in meinem Leben - zweieinhalb Jahre quasi Auftrittsverbot, zähes Onlineproben, Chormitgliederschwund (manche konnten/wollten nicht online proben, andere konnten/wollten die wenigen erlaubten Liveprobenphasen nicht wahrnehmen), allgemeine Demoralisierung bei Singenden, Veranstalter*innen und mir.

Aber jetzt. Jetzt durften wir seit April wieder proben - natürlich mit Abständen, in einem größeren Probenraum, und natürlich mit Masken - und sogar auftreten. Ich habe ja noch vor drei Wochen eine leise innere Angst gehabt, dass auch diese Konzerte entweder wieder untersagt werden (aber nachdem wir uns scheinbar coronapolitisch einfach nur noch auf den Rücken rollen und hoffen, dass es aufhört, ist das nicht geschehen) oder dass ich mich bei einem der Chöre, mit denen ich in den letzten drei Monaten gearbeitet habe, und von denen nicht ein einziger so diszipliniert ist wie der Unichor, infiziere und ausfalle (auch nicht passiert, weil ich frenetischer Maskenträger war).

Exkurs: Mal ehrlich, Leute, MASKEN. Natürlich ist es angenehmer, ohne Maske zu singen als mit. Aber langfristig ist es angenehmer, ohne Beatmungsgerät zu atmen als mit, und es ist angenehmer, ohne LongCOVID zu leben als mit, also nehmt euch mal ein bißchen zusammen für die zwei Stunden Chorprobe, bitte und danke.

Es gibt Air Ease Masken, habe ich kürzlich in der Apotheke entdeckt, die sind großartig zum Singen. Sie haben FFP2-Standard, sind aber sehr dünn, super zum Durchatmen auch beim Singen, und haben diesen Schnitt mit der Quernaht statt längs, was auch für Brillentragende angenehmer ist. 

Aber zurück zu den Konzerten. Wir wollten vor zwei Jahren eine Art "Choir for future" Programm machen, also ein Konzert, das die Klimakatastrophe als Thema hat. Es wäre vor zwei Jahren schon dringend drangewesen, aber seither ist viel passiert - das Ahrtal zum Beispiel, das gezielte Abbrennen brasilianischer Regenwälder und vieles, vieles das jetzt gerade in diesem Moment in Deutschland und weltweit passiert. Also haben wir das Konzertthema behalten.


Wir haben Lieder und Pressemitteilungen im Wechsel gehabt und alles am Ende ein wenig eskalieren lassen, und scheinbar kam das unglaublich gut an.

Liebe Sängerinnen und Sänger, lieber Chorleiter,

 es war ein wunderbares Konzert, konzeptionell und in der Durchführung.

Rundherum. Zugewandte Einführung, gutes Info-Material, begeisterndes

Singen, auch solistisch.

 Und "I see fire" habt Ihr um Klassen besser hingekriegt als Ed Sheeran.

 Danke für alles!


(Man muss natürlich Nachsicht mit Ed Sheeran haben, immerhin musste er auf einem Berg vor einem sehr schlecht gelaunten Drachen singen.)

Was für eine Sternstunde! Ich bin noch immer sehr bewegt von Eurem Konzert! Die seitliche Aufstellung war genial: Ein klarer und trotzdem warm umhüllender Klang! Und die Verbindung mit den nachdenklichen Texten hat wohl niemanden unberührt gelassen. Ich wünsche euch, dass es morgen noch einmal so gut gelingt!

Das Ganze mit einem Chor, der nicht mehr knapp 100 Mitglieder hat, sondern nur noch 43, und davon etliche neue Studierende - ich muss sagen, ich bin wirklich sehr, sehr stolz auf das, was sie geleistet haben und kann das nächste Semester nicht erwarten. 


Auch sonst tut sich einiges in meiner Chorarbeit. Unter anderem gründe ich im September einen queeren Chor:



Die Privilegierteren unter euch werden sich vielleicht dieselbe Frage stellen, die mir letzte Woche in seliger Ignoranz gestellt wurde: "Warum singen queere Leute nicht einfach in einem normalen Chor? Warum brauchen die einen eigenen?"

Dazu möchte ich, bevor ich es erkläre, gerne nachdrücklich festhalten, dass "queer" nicht das Gegenteil von "normal" ist. Queere Menschen sind normale Menschen. Vielen Dank auch.

Und die Antwort auf die Frage ist: weil queere Menschen nicht überall wie normale Menschen behandelt werden. Singen, ich predige das seit zwanzig Jahren und kann es nur immer wieder wiederholen, ist eine sehr intime Sache. Stimme und Stimmung sind in ihrem innersten Kern miteinander verwandt. Wir klingen anders, wenn wir gestresst sind. Wir klingen anders, wenn wir lächeln. Wir können Panikgefühlen handfest entgegenwirken, indem wir singen, weil das Gehirn angeblich (bin kein Biologe) nicht gleichzeitig Singen und Angst haben kann.

Wir zeigen mit unserer nackten Stimme etwas von unserem Körper, das viel über uns verrät, und teilen das mit fremden Menschen. Gleichzeitig ist Singen auch noch sehr emotional. Wir sind also beim Chorsingen bis zu einem gewissen Grad verletzlich und physisch wie emotional offengelegt.

Wenn wir jetzt noch das Pech haben, als queere Person in einem konservativeren Chor zu singen, wo wir nicht einer der Tenöre sind, sondern der schwule Tenor, wo wir der trans Junge oder die nicht binäre zweite Sopranistin sind und die Chorleitung immer von "Männer- und Frauenstimmen" spricht und wir nicht wissen, ob wir jetzt mitmachen sollen, oder wo sogar offen feindselig Schwulenwitze und dergleichen gemacht werden, dann vergällt es uns nicht nur das Singen, sondern es baut ein grundsätzliches Gefühl der Unsicherheit auf in einem Umfeld, in dem wir uns als Hobbysänger*innen engagieren und eigentlich entspannen und glücklich fühlen wollen.

Aus diesem Grund gibt es queere Chöre. Einmal nicht mehr der bunte Hund sein, sondern einfach nur Teil einer bunten Meute. Einmal nicht die eigenen Pronomen erklären und dann das Augenrollen der cis Menschen und ihre Witze 'mit Humor' nehmen müssen, damit man nicht als zickig gilt, obwohl man zuerst beleidigt wurde. Einmal im Chorprobenraum einfach nur entspannen können.

Der Unichor in Braunschweig hat übrigens, um genau diesen Krater zu überbrücken, eine Selbsterklärung geschrieben und bemüht sich mit Macht, inklusiv zu formulieren, zu denken und zu handeln. Ich kann das anderen Chören nur empfehlen, natürlich mit dem ersten Schritt, dass die nicht queeren Chormitglieder nicht einfach da reingeworfen werden, sondern sich der Chor als Gruppe grundsätzlich informiert und/oder beraten lässt, wie LSBTIQ-Freundlichkeit eigentlich funktioniert. Diese Aufklärung innerhalb des Chores ist übrigens nicht die Aufgabe eurer queeren Mitglieder, und ihr solltet auch nicht damit warten, bis ihr queere Mitglieder habt, sondern das als Selbstfürsorge betrachten.

Dasselbe gilt für Antirassismus in Chören. Wartet nicht, bis ihr People of color in den Chören habt, um euren Singenden beizubringen, dass die Süßigkeit Schokokuss heißt und dass nicht alle schwarzen Menschen "Rhythmus im Blut" haben. Bedenkt die Komplikation von Samstagskonzerten für jüdische Mitglieder, und rechnet damit, dass Kippa oder Hijab für einige Mitglieder zur Chorkleidung gehören.

Oder sehr einfach heruntergebrochen: Fragt offen, was ihr tun könnt, um für Menschen, die anders sind als ihr, das Singen in einem Chor zur Freude zu machen. Basis Anstand einfach.

Zum Abschluss wieder Musik: Ich habe ein Chor-Arrangement vom folgenden Stück geschrieben, aber zum Einen wurde das gestern leider nicht aufgenommen (soweit ich weiss), zum anderen ist dieses originale Video einfach irre witzig.


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