Ziellos


Als ich irgendwann als Teenager meinen Eltern beim Essen erklärte, ich wolle Dirigentin werden, reagierte meine Mutter überschwänglich („dann wirst Du berühmt und dirigierst die Berliner Philharmoniker!“) und mein Vater, ohne auch nur vom Teller hochzuschauen, vernichtend skeptisch („das schafft sie doch sowieso nicht“). Interessanterweise reagierten praktisch alle anderen Leute ebenfalls mit einer dieser Extrempositionen. Immer nur „dann werde ich mal sagen können, ich kenne Dich“ oder „naja, man muß große Träume haben, um auch Kleines zu erreichen“, nichts dazwischen. Es war ein Spagat zwischen Heldentum und Staubkörnchen, zwischen Ganz und Garnicht, und ohne daß ich es merkte, setzte sich dieses Bild in mir fest.

Beide Eltern waren sehr stolz, als ich in Wien zu studieren begann, als sie mich das erste Mal vor einem Orchester sahen, als sie mein erstes Radiointerview hörten, den ersten Zeitungsartikel über mich lasen, meine erste CD in den Händen hielten. Und beide erwarteten weitehin von mir, was sie vorhr erwartet hatten: meine Mutter Ruhm und mein Vater, daß ich Musiklehrerin werde. Und ich erwartete irgendwie andauernd dasselbe - Weltruhm oder totales Versagen (ich habe es tatsächlich 2x mit Unterrichten in normalen Klassen versucht und total versagt, denn Pädagogik studiert man halt auch nicht ohne Grund). Was ich bekam, nach meinem bisherigen Verständnis, war totales Versagen. Zumindest hat es sich für mich immer so angefühlt.

In den letzten Monaten habe ich intensiv darüber nachgedacht, was ich eigentlich für ein Verhältnis zu meinem Beruf habe. Warum das so eine starke Hassliebe ist. Warum ich ihn so gerne machen und doch permanent so unzufrieden sein kann. Und ich habe etwas Entscheidendes begriffen: Ich liebe das, was ich tue, wirklich von ganzem Herzen. Ich leite im Moment 2 sehr unterschiedliche  Chöre und ich liebe diese Arbeit. Beides sind Amateurchöre - ein sehr guter und ein nicht sehr guter. Und beide bereiten mir die allergrößte Freude. Denn was mich immer antrieb, war ein völlig falscher Ehrgeiz, in dem es nie darum ging, WAS ich tue, sondern MIT WEM ich es tue. Ich habe nie die Berliner Philharmoniker dirigiert und die Wahrscheinlichkeit, daß das je passieren wird, ist verschwindend gering.

Aber wißt Ihr was? Ich wollte auch nie die Berliner Philharmoniker dirigieren. Ich hatte nie das geringste Interesse an einem Jetset-Dirigentenleben, in dem mir Assistenten die ganze Probenarbeit abnehmen und ich nur noch im Konzert gut dastehe. Ich wollte eigentlich immer gerne ein kleines Kammerorchester, das ich hegen und pflegen könnte wie einen Garten, und das über Jahre hinweg so mit mir gemeinsam einen ganz eigenen Charakter entwickelt.

Gut - ein eigenes Orchester habe ich nie bekommen; aber das Leben als Dirigentin diverser Amateurchöre hat mir im Grunde genau das geschenkt, was ich mir gewünscht habe. Ich entwickle mit meinen Chören ihren ureigensten Klang, ihr Verständnis von Musik, ihr Körpergefühl, Ihr Selbstbewusstsein, ihre Hingabe an den Moment, ihre Sorgfalt im Umgang mit der eigenen Stimme und der Partitur. Und ich genieße auch des Öfteren die Arbeit mit Orchestern und habe dafür immer sehr positives Feedback bekommen. Das ist mir genug. Ich habe begriffen, daß ich mich innerlich gar nicht abstrampeln muß, um vielleicht irgendwann doch noch ans Theater zu kommen, wo ich eigentlich gar nicht hinwill, sondern daß ich genau an der richtigen Stelle bin. Ich bin sogar irrsinnig gut in dem, was ich tue. Als Dirigent von Amateuren hat man nämlich nicht den Luxus, sich der reinen Interpretation hingeben zu dürfen. Nein, man muß seinen Sängern und Instrumentalisten oft erstmal Hilfestellung bei der Bewältigung ihres Instrumentes geben. Dann die Töne beibringen. Dann Schönheit aus den Tönen holen und interpetieren. Das erfordert ein ungeheues Maß an Fantasie und Durchhaltevermögen, an Bildern und Assoziationen, die ich ständig anbieten muß, um jeden an seinem persönlichen Standpunkt abzuholen. Und ich liebe das.


Bildquelle: the vintage scrap shop


Es gibt also ab sofort kein höheres Ziel mehr in meinem Leben. Keine verdammte Karotte, der ich Esel hinteherjage, ohne zu merken, wie lecker das Gras gerade jetzt unt meinen Hufen ist. Wenn ich mit Profis arbeiten darf, freue ich mich - aber wenn nicht, freue ich mich auch, denn was ich tue, ist gute, solide Arbeit und ich bin sehr dankbar dafür, wie vielseitig und spannend meine Aufgaben in meinen Chören sind.

Ich habe gerade heute einen guten Artikel über das Loslassen von Zielen gelesen. Darüber, daß das Kämpfen und Durchhalten um jeden Preis Menschen manchmal in die Verzwiflung treiben kann, weil sie einfach nicht zulassen können, ein einmal gefaßtes Ziel aufzugeben, egal wie unwahrscheinlich dessen Erreichen ist, egal, wie sehr sie sich damit quälen. Ich möchte meine Energie lieber in den Weg als in das Ziel stecken; ich möchte sogar lieber einen Weg ohne Ziel gehen. Wer weiß schließlich schon, was ihm das Morgen bringt?

Und falls noch jemand von Euch so schräg drauf ist wie ich und jahrzehntelang glaubt, seinen Eltern etwas wie beruflichen Erfolg zu schulden, weil sie sonst enttäuscht sind oder weil sie das Studium finanziert haben oder weil man den elterlichen Betrieb übernehmen sollte: hört auf damit. Wenn überhaupt irgendetwas schulden wir unseren Eltern höchstens, glücklich zu werden. Und dazu gehört meistens, daß es anders kommt, als man denkt.


Kommentare

Nane hat gesagt…
Liebe Anke! Du sprichst mir aus der Seele. Diese Phase habe ich auch gerade in Arbeit und sehe es genauso :-) Liebe Grüße, ich freue mich auf unser Konzert.
Anonym hat gesagt…
Liebe Anke,

(wir kennen uns noch nicht persönlich, aber ich nehme dennoch gleich das Du. Das scheint mir besser zu passen.)

Diesen Weg bin ich ebenfalls gegangen und bin jetzt sogar in einer Phase, mir völliges Nicht-Müssen und Einfach-Sein zu erlauben. Und lebe seit ein paar Monaten ganz ohne Geld-Verdienen. Es ist genau richtig so, für mich. Und dennoch gibt es immer wieder Zeiten des Zweifels und des Müsste-man-Nicht....
Wir sind kollektiv so unglaublich stark auf Leistung und Anerkennung geprägt.
Und obwohl viele sich etwas anderes wünschen, reagieren sie (wir) dann oft abwertend, wenn es Menschen gibt, die diese Endlosschleife loslassen und andere Wege gehen.

Ich danke dir für deinen sehr inspirierenden, persönlichen Blog

und sende dir lächelnde herzliche Gedanken.

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