Seziert

Heute ist international Trans Visibility Day - internationaler Tag der Sichtbarkeit von trans Personen.

Heute ist auch der Tag, an dem die beiden psychiatrischen Gutachten, die ich erbringen mußte, in meinem Briefkasten lagen. Sie sind Teil des langen bürokratischen Prozesses, der hoffentlich dazu führen wird, daß irgendwann "Johannes Lorenzen, Künstlername Johannes Höing" in meinem Perso steht. Das Amtsgericht hat mir Kopien beider Gutachten zugeschickt, damit ich dazu Stellung nehmen kann.

Also habe ich sie durchgelesen. Und boy, ist das ein komisches Gefühl.

Da stehe ich, ja, aber ich stehe da nicht als Mensch, sondern als Dingsda unter einem Mikroskop. Ich werde seziert. Alles wurde in den 90 Minuten beim ersten Gutachter und in den gut 2 Stunden bei der zweiten Gutachterin auseinandergenommen und steht da jetzt schwarz auf weiß - von der Rolle, die Musik in meinem Leben und beim am-Leben-bleiben spielte, über meine Familie, meine Beziehungen, meine Freundschaften, Kinderspiele, welche Kleidung ich trage, daß die Brüste trotz Binder erkennbar seien, ob ich regelmäßig aufs Klo gehe (ich meine ERNSTHAFT?!), daß ich jünger aussehe als ich bin, daß meine Gestik und Mimik männlich seien (öhm?) und letztlich dann, daß ich wirklich trans bin und nicht einfach bekloppt.

Es ist, als würde mir alles entrissen. Keine private Information ist mehr privat. Alles steht jetzt in diesen Gutachten, die einem Gericht vorliegen, und irgendwelche Sachbearbeiter:innen können das einsehen. Ich gehöre nicht mehr mir selbst. Ich fühle mich unglaublich verletzlich und das gefällt mir nicht.

Und das alles für einen anderen Vornamen und Geschlechtseintrag. Warum muß das Geschlecht überhaupt in einem Ausweisdokument angeführt sein? Warum ist die Hürde für ein einfaches Wort in einem Ausweis so unendlich viel höher als die Hürde für eine Hormontherapie, die viel mehr Veränderung im Körper und Leben einer Person bewirkt?

Apropros: Heute vor einer Woche war auch das Rezept für mein Testosteron im Briefkasten. Mann, war das eine Odyssee! Der nette Endokrinologe wollte mich ja nicht beginnen lassen, bevor nicht alle Zweifel ausgeräumt sind, daß ich dadurch kein höheres Rückfallrisiko habe bezüglich Krebs vor drei Jahren. Meine Gynäkologin wollte ihm das aber nicht schriftlich geben, weil sie sich onkologisch nicht hinreichend auskennt. Ich bin also von Pontius zu Pilatus, nun, nicht gelaufen, sondern habe telefoniert und ge-emailt, und habe einen Termin bei einem Spezialisten bekommen, der mir grünes Licht gegeben hat.

Nach einer Woche auf Testo kann ich sagen: Hab immer noch keinen Bart, bin immer noch kein Bass. Bis auf ein leichtes Kratzen im Hals hat sich nichts getan. Ich bin ja nicht ungeduldig, ABER.

Kommentare

Tricia Danby hat gesagt…
Ja, das ist nie schön mit so Gutachten und Ja, man fühlt sich gar nicht gut dabei. Viel anders war es beim Gutachten für die Rente auch nicht. Das war blanker Horror - aber so ist das (leider). Was das mit den Betroffenen macht, ist oft wirklich egal.

Aaaaber, es geht voran bei dir und dein Körper lehrt dich jetzt Geduld. Ich schätze, dass es im Vergleich zu anderen bei dir doch Recht fix ging ...auch wenn du dachtest, dass es eeeewig dauert. Alles wird gut!
Jaya hat gesagt…
Ich gebe zu, mir fällt das Umdenken noch immer schwer. Nein, nicht die Akzeptanz. Du bist wer Du bist. Aber das Umdenken. Wir kennen uns ja nun (virtuell) schon einige Zeit. Ist Dein Spitzname eigentlich noch angemessen?

Gutachten sind nie schön. Aber notwendig, damit Dritte, die Dich absolut nicht kennen, sich eine eigene Meinung bilden können. Aus Berichten weiß ich, dass solche Prozesse gern auch mal ausgenutzt werden. Nachdem das ruchbar wurde (in dem mir bekannten Fall in Halle/Saale) haben sich auch die Ärzte geweigert, operativ Anpassungen vorzunehmen. Leider. Denn betroffen sind letzten Endes ja auch Persönchen wie Du, die wirklich im falschen Körper leben und das nicht nur "glauben".
Deswegen finde ich es nicht nur gut, sondern auch sehr interessant, mal aus Deiner Perspektive etwas Hintergrund zu erfahren.
Ich wünsche Dir jedenfalls weiter alles erdenklich Gute.
Und falls wir uns mal sehen: mir ist es wurscht, ob Du vor mir in Stiletto-Absätzen oder mit tiefer Stimme stehst. Wichtig bist du. Und nicht die Meinung der Anderen.

P.S.: In den Kreisen, wo ich mich vorrangig bewege, tragen Männer auch durchaus mal Rock - dann Kilt genannt. Von Knie- bis Knöchellang. ;)
Musiksalon hat gesagt…
@Jaya: ...oder mit Stilettos UND tiefer Stimme. Kleidung ist geschlechtsneutral. ;-) Dasselbe gilt für Makeup. Mal sehen, worauf ich Lust habe, gnihihi. Und klar gilt der Spitzname noch, ich bin und bleibe ja Veganer!

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